Schon im frühen 14. Jahrhundert wohnten Juden in Tübingen. Davon zeugt noch heute der Name der „Judengasse“ in der Tübinger Altstadt. Im 15. Jahrhundert wurden die jüdischen Familien anlässlich der Universitätsgründung 1477 aus Tübingen und auch aus ganz Württemberg vertrieben. Eine zentrale Rolle spielte dabei Graf Eberhard im Barte, der letzte Graf und erste Herzog von Württemberg und Gründer der Universität Tübingen. Er war ein großer Judenfeind. In seinem Testament vom 26. Dezember 1492 hatte er die Anordnung getroffen, dass in Württemberg in Zukunft keine Juden wohnen und kein Gewerbe treiben dürften.
Die Entstehung der neuen jüdischen Gemeinde
Erst im späten 18. Jahrhundert siedelten wieder einige jüdische Menschen in Wankheim und begannen dort ein reges jüdisches Leben. Der jüdische Friedhof in Wankheim mit seinen alten Grabsteinen ist ein Zeugnis aus dieser Zeit. Ab 1870 zogen viele jüdische Familien nach Tübingen und errichteten dort 1882 eine Synagoge als Zentrum der jüdischen Gemeinde. Auch jüdische Familien in Reutlingen waren Mitglieder der jüdischen Gemeinde Tübingen. Die Gemeinde gehörte zum Rabbinat Horb/Mühringen.
Am 25. Dezember 1932 feierte die jüdische Gemeinde das 50jährige Jubiläum ihrer Synagoge.
Wenige Wochen später, mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 hatte sich die Situation vollständig verändert. Die NSDAP organisierte den Boykott jüdischer Geschäfte. Anpöbeleien und Demütigungen jüdischer Bürger auf der Straße wurden Normalität. Tübingen wurde die erste Stadt im „Deutschen Reich“, die Juden den Zutritt zum Freibad verbot.
Am 9. November 1938 wurde die Tübinger Synagoge durch Brandstiftung vollständig zerstört und am 4. Juli 1939 wurde die jüdische Gemeinde per „Reichsbürgergesetz“ aufgehoben und ihr Vermögen eingezogen.
1932 bestand die Gemeinde noch aus 137 Mitgliedern aus Tübingen und Reutlingen.
Fünf Jahre später war durch die Flucht vieler Gemeindemitglieder die Zahl auf 25 geschrumpft.
22 Menschen wurden schließlich in die Konzentrationslager verschleppt. Nur zwei Menschen überlebten.
Das Gedenken an die jüdische Gemeinde nach 1945
1949 musste die Stadt Tübingen im Zuge eines Restitutionsverfahrens das Grundstück, auf dem ehemals die Synagoge stand, an die Israelitische Kultusgemeinde zurückgeben, die das Grundstück an eine Privatperson verkaufte. Die folgenden Jahrzehnte waren geprägt von Privatinteressen einerseits und den Forderungen nach angemessenem Gedenken andererseits.
1978 wurden am Lützelbrunnen, neben dem Platz, wo ehemals die Synagoge stand, Gedenktexte angebracht. 1979 wurde die Gedenkinschrift erweitert.
1998 konnte eine Projektgruppe, die aus der Tübinger Bürgerschaft und der Geschichtswerkstatt bestand, das Denkmal Synagogenplatz realisieren. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass an diesem Ort einmal eine Synagoge stand. Der Platz ist von Wohnhäusern umgeben, die dem Denkmal nur wenig Raum lassen. Trotzdem ist es gelungen, einen eindrucksvollen Gedenk- und Lernort zu schaffen, der dazu einlädt, auf weitere Spurensuche in Tübingen zu gehen.
Tübingen – eine Hochburg des Nationalsozialismus
Die Universitätsstadt war bereits vor 1933 eine Hochburg des Nationalsozialismus. Nationalistische Aufmärsche und antisemitische Übergriffe waren verbreitet. Besonders viele Studenten, Professoren, Beamte, Kaufleute und Handwerker wählten die NSDAP, die 1933 rund 50 % der Wählerstimmen bekam. An der Universität Tübingen, die sich schon 1933 rühmte „judenfrei“ zu sein, entstanden mehrere völkische Institute. Auch die medizinische Fakultät war maßgebend für die Entwicklung und Durchsetzung des Rassengedankens und der Eugenik.
Aus Tübingen kamen eine Reihe hochrangiger NS-Täter, die in den 1920er Jahren in Tübingen studiert hatten und in völkischen Studentenverbindungen aktiv waren. Die braune Universitätsstadt war als Sitz der traditionsreichen Landesuniversität in Württemberg bedeutsam. Sie strahlte auch auf die ländliche Region in Südwürttemberg aus. Es gab zahlreiche KZ-Außenlager, viele Menschen und Institutionen beteiligten sich an der Verfolgung und Ausplünderung der Juden, und in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb geschahen Massenmorde an kranken Menschen.