Um die aktuelle Situation einordnen zu können, schilderte der Referent die Vielfalt jüdischer Gemeinden im 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts bis zur Zeit der Ausgrenzung und schließlich zur Vernichtung der Gemeinden im nationalsozialistischen Deutschland:
Bis zu ihrer Vernichtung war die jüdische Gemeinde Haigerlochs Teil von Württemberg-Hohenzollern, in dem dreizehn sogenannte Rabbinatsbezirke bestanden. Diese Rabbinatsbezirke waren weitgehend selbstständig. So konnte eine religiöse Vielfalt bestehen, die im ländlichen Raum zu eher traditionell-orthodoxen und im städtischen Raum, besonders in Stuttgart, zu liberalen Gemeinden führte. Diese Vielfalt wurde in der NS-Zeit zerstört.
Joseph Rothschild, der in Tübingen Dozent für Politik- und Religionswissenschaft sowie für Hebräisch und Jüdische Wissenschaft ist, verstand es durch seinen lebendigen Vortrag und seine Kenntnis der heutigen Gemeinden, diese historischen Hintergründe immer wieder mit der heutigen Situation zu verknüpfen.
Nach der Zerstörung der Gemeinden erfolgte im Nachkriegsdeutschland noch in den vierziger Jahren der Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde, vor allem durch "Displaced Persons", also jüdische Frauen und Männer, die Konzentrationslager überlebt oder Flucht und Vertreibung überstanden hatten. Deren Zahl war klein und so kam es nur in Stuttgart zur Gründung einer Gemeinde für ganz Württemberg. Die Vielfalt, die im 19. Jahrhundert in den 13 Rabbinatsbezirken zum Ausdruck kam, konnte nicht wieder aufleben.
Die bis heute in Stuttgart bestehende Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg versteht sich als Gemeinde für alle jüdischen Glaubensrichtungen, als Einheitsgemeinde. Diese Einheitsgemeinde steht in regem Dialog mit den anderen Religionen und den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen - bis hin zum Land Baden-Württemberg. Eine besondere Herausforderung bildet dabei die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden, zum Beispiel in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus Russland. Vereinendes Element sind, wie Joseph Rothschild abschließend aufzeigte, die jährlich wiederkehrenden Feste, wie jetzt zuletzt das zentrale Pessachfest.
Text und Foto: Klaus Schubert